Aufsteh'n: Beautiful young woman smiling with her thumbs up.

Die FAZ am Sonntag (31.10.) erklärt den Bildermarkt der (Micro)Stockfotografie: mit der Wirklichkeit können die meisten Stockfotografen nicht besonders viel anfangen. Und da das mit der Wirklichkeit in Echt ja so eine eine Sache ist, geht die Erläuterung sofort weiter: die Wirklichkeit passt nicht ins Bild - zu dreckig, zu unordentlich zu speziell; jedes überflüssige Detail ein Makel.

Ich wäre begeistert, wenn die Quintessenz dieses Artikels den Bahn-mobils, Apotheken-Umschauen, Sparkassen-Magazinen etc mal heimlich beigefügt würde. Deren Macher haben ein ähnliches Problem mit der Wirklichkeit wie die Stockfotografen.

Während bei der Musik jeder Banause Klassik und Jazz von Kaufhaus-Jingle-Gedudel zumindest auseinanderhalten kann und somit die Werbewelt neben der redlichen Welt existieren kann, ergeht es der Fotografie leider oftmals umgekehrt: die redliche Welt ist abgeschafft und alles, was wir für Fotografie halten ist aus der Abteilung 'Sexy young girl smiling'. Also wieder her mit dem alten Song von den Bots: Alle, die nicht gerne Instantbrühe trinken, sollen aufsteh'n. Guten Aufstand.

Zur Theorie der Bilder

Es gibt wenig Literatur zu einer Theorie der Fotografie, die in einem philsophischen und/oder soziologischen Diskurs Chance auf Bestand hat (lassen wir mal die Sontags, Barthes und Benjamins auf Seite). Umso erfreuter war ich, als "Diskurse der Fotografie" (herausgegeben von Herta Wolf und erschienen bei Suhrkamp, stw 1599) fand. Kann ich jedem empfehlen, der mit Texten etwas anfangen kann.

Defokusiert

Peter Loewy stellt in der Münchner Pinakothek Photoportraits von Zeichnungen aus. Was er gemacht hat? Bilder von Zeichnungen, aber nicht als Reproduktion, sondern defokussiert und erst dadurch gewinnen die Bilder Leben. Einfach mal bei Google Images "Peter Loewy" eingeben oder kurz hier klicken, damit man sieht wie's ausschaut. Verschwommenheit schafft Authentizität - klar, wir wissen das ;-)

Neil Young - die Zweite

Das von Neil Young 2007 erschienene Album "Ordinary People" hat auch eine fotografische Entsprechung: The Regulars von Sarah Stolfa - ein wunderbarer Bildband. Erstaunlich: nahezu alle Bilder, die im Buch vorkommen, kann man sich im Internetauftritt der Fotografin bzw. der sie vertretenden Galerien wie beispielsweise www.gallery339.com anschauen.

Neil Young

Klaus Birnstiel im aktuellen Merkur (S 172ff) über Neil Young: Songs (...) die im Konzert auf Überlänge ausagiert werden, lässt Young meist in minutenlangen Geräuschorgien enden: Verstärkerrückkopplung, verstimmte Saiten, Effekte also, die professionelle Musiker zu vermeiden versuchen, produziert Young mit einer Lust, in ohrenbetäubender Lautstärke und nicht enden wollender Dauer.

Wo sind derartige Effekte in der Fotografie zu finden und was machen sie dort? Nun genau das, was sie auch in Neil Youngs Lieder machen: sie bereichern einfache Bilder mit Authentizität.

Martina Mettner und der großartige Fotograf

Wer's nicht weiß: Martina Mettner (fotofeinkost.de) hat ein Buch mit dem leicht ironischen Titel "Wie man ein großartiger Fotograf wird" geschrieben. Ich mag ihren Blog und bestellte auch das Buch, musste dann aber beim Online-Händler feststellen, dass es nicht nur positive Bemerkungen zu diesem Werk gibt. Hier also mein Senf.

Zusammenfassend lässt sich sagen: das Buch lohnt sich zu lesen (ob es sich zu kaufen lohnt ist eine andere Geschichte). In vielen Punkten muss man der Autorin geradezu dankbar für die Begriffsbestimmung sein:
  • das Grafische vs das Fotografische
  • Bildkontrolle vs Bildgestaltung
  • Begeisterung für Fototechnik vs Begeisterung für Fotografie
  • Fotografie des 20. Jahrhunderts vs Fotografie des 21. Jahrhunderts
  • etc, etc
Das ist alles klar herausgearbeitet und zeigt Martina Mettners eigentliche Stärke: die Beschreibung und Analyse des fotografischen Zustands. Da hat man nun endlich die schlauen Sachen, die man aus ihrem Blog kennt in gebundener Form. Und hier kommen wir auch zu der Schwäche des Buches: während ein Blog ohne Lektorat auskommt, benötigt ein Buch dringend ein solches. Jeder Lektor hätte nämlich die Frage gestellt: an wen soll sich denn das Buch richten? Dass muss geklärt werden, ansonsten entsteht etwas, was alle bedienen will, aber letztendlich keinem gefällt.

Empfehlungen zur Portraitfotografie wie (sinngemäß): Fragen Sie doch mal die Mütter der Freunde Ihrer Kinder oder auch Satzfragmente wie (ebenfalls sinngemäß) Kündigen Sie mal in Ihrem Fotoclub an verraten uns, an wen sich das Buch richtet und erklärt gleichzeitig warum technische Empfehlungen wie: falls die Bilder zu hell sind, ändern sie die Gradationskurve enthalten sind. Mal ganz ehrlich: jemandem, der nicht weiß, wie er an Modelle kommt, sich nicht einfachste Themen überlegen kann oder nicht weiß, wie man technische Schwächen in Bildern behebt, dem wird auch der Unterschied zwischen dem Grafischen und Fotografischen egal sein. Hier wird also mit dem Hintern eingerissen, was die Hände mühselig aufgebaut haben.

Das Buch ist empfehlenswert, aber viel zu lang. Auf den Teil für Laien hätte verzichtet werden können. Die Devise "erst denken, dann auslösen" wird in nahezu jeder Fotoschule (Canon, Nikon, wasweißich) ausgegeben - das muss man nicht ständig wiederholen. Mich hätten mehr von den Dingen interessiert, die mir nur Martina Mettner erklären kann. Und vielleicht ein paar abwechslungsreichere Bilder (Dokumentationsfotografie ist meistens so spannend wie der Parkplatz beim Discounter - aber das ist Geschmacksache). Also ergänze ich die mir fehlenden Teile des Buches mit den Artikeln des hervorragenden Fotofeinkostblogs.

Steffo

Brigitte: Nachtrag

Zwar ist die Brigitte laut eigenen Angaben weit davon entfernt, am Budget zu sparen, zu einem Knistern und Rauschen in Deutschlands bekanntester Frauenzeitschrift wird es dennoch nicht kommen.
Nicht nur wird das idealisierte Menschenbild, den abgelichteten "normalen" Frauen zum Trotz, weiter propagiert, man treibt die Sache auch noch in einer Art gigantischer Vorher-Nachher-Aktion auf die Spitze. Leserinnen sehen sich aufgefordert, sich scheinbar so, wie sie sind, fotografieren zu lassen. Tatsächlich jedoch werden sie geschminkt, geschönt und digital nachbearbeitet, wird ihre "Normalität" dem ästhetischen Diskurs unserer Zeit untergeordnet. Und während sich eben diese Leserinnen "wie die Profis" behandeln lassen dürfen und dabei noch das Gefühl haben, einer guten Sache zu dienen, wird der Betrachter der fertigen Fotostrecken wieder einmal Zeuge der verlogenen "Realität" der Fotografie in modernen Massenmedien.

Natürlich ist es angenehm, Fleisch und Blut in den Modestrecken zu finden anstatt der stets wiederkehrenden zählbaren Rippen, hervorstechenden Schlüsselbeine und hohlen Wangen. Natürlich keimt da die Hoffnung, die gesellschaftlichen Ideale seien doch nicht so traurig stagniert, wie es vielfach den Anschein hat. Aber an ein Gerausche und Geflimmere im übertragenen Sinne in solchen (akzeptierten) Medien wage ich nicht zu glauben. Bereits die Dove-Kampagne hat gezeigt, dass Kurven vermarktbar sind, Hautunebenheiten jedoch nicht.

Stellt sich abschließend die Frage - was würde aus Flimmern und Rauschen, wenn es sich plötzlich gesellschaftlich akzeptiert fände?
Kann Kunst vom Großteil der Gesellschaft akzeptiert werden ohne den Status "Kunst" gegen den Status "Massenware" zu tauschen?
Oder noch einmal aggressiver formuliert:
Müssen wir nicht vielmehr froh sein, dass geläufige Massenmedien, und damit auch der Großteil der Fotografie, glatt und idealisierend ist?
Und was bedeutet das für die Einstellung des Künstlers gegenüber seiner Umwelt - der realen und digitalen?

Dem müsste einmal nachgegangen werden.

Brigitte

So, da haben wir's: Brigitte, das anständige Mädchen (Gundlach) hat sich also entschlossen nur noch mit Amateurmodellen zu arbeiten. Die Kopplung von Amateurmodellen mit der Verabschiedung der Magermodelle legt die Vermutung nahe, dass hier zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden sollen: Aussehen und Budget.

Während ersteres sehr löblich ist, ist letzteres bedenklich. Hoffen wir mal das Ersteres nach und nach dahin führt, dass Menschen und nicht nur Mannequins erkennbar sein werden und bis dahin hat auch Brigitte noch einen weiten Weg vor sich. Das Problem ist doch die Idealisierung eines einzigen Menschentypus. Und das liebe Leute ist eine Geisteshaltung und hat nichts damit zu tun, ob jemand zu dick oder zu dünn ist. Das ganze Elend dieser Geisteshaltung kulminiert dann in den Äußerungen von M. Michalsky, der allen Ernstes glaubt Argumente vorzubringen, wenn er die Beibehaltung der Situation mit dem Hinweis darauf fordert, dass ja die Tour de France auch nicht von normalen Menschen gefahren werden. Da fällt einem nur noch die Formulierung von Taylor mit den Spezialisten ohne Geist und den Hedonisten ohne Herz ein.

Nochmal zurück zur Geisteshaltung: die Industrialisierung (und die damit eingehende Bürokratisierung) von Mode und Modebildern ist das, was überdacht werden sollte. Vielleicht ist ein bisschen mehr Handwerk und weniger Industrieproduktion wichtiger. Hier können die "No-Models" helfen, aber knistern und rauschen werden diese Bilder auch erst dann, wenn mehr passiert, als Körbchengröße "A" rauszuschmeißen und Größe "C" reinzuholen.

Was fehlt: das Material.

Svenja brachte mich gestern drauf, was eigentlich fehlt bei digitalen Bildern: man kann das Material nicht spüren. Ich glaube, das fasst zumindest den formalen Aspekt von Knistern & Rauschen ganz gut zusammen (und gilt auch für Vinylschallplatten). Ich möchte das Material spüren, genauso wie ich bei einem Gemälde Leinwandstruktur, Ölkleckse etc. sehen will. Nicht ausschließlich, aber sie sollten da sein.

Hinsichtlich des inhaltlichen Aspekts und der Porträtfotografie verhält es sich ebenso: der Mensch soll spürbar sein und zwar in seiner ganzen Leiblichkeit. Damit sieht die Forderungsliste nun folgendermaßen aus:
  1. die abgebildete Person muß als Mensch klar wahrnehmbar sein und spürbar sein (und nicht als Mannequin oder sonstige Projektionsfläche)
  2. es ist eine humane Fotorgafie (die nicht nur Bilder von Menschen macht, sondern auch Menschenbilder liefert); darüber hinaus sollen nicht nur Bilder sondern Denkbilder entstehen (Schirmacher)
  3. es soll ein Kontrapunkt zu dem sein, womit kommerzielle Fotografie Geld verdient: Werbung und Produktfotos
  4. wir wollen in diskursfähig sein und den Dialog mit der glatten Fotografie suchen.
  5. das Material mit dessen Hilfe die Abbildung erstellt wurde muss in seiner arttypischen Weise (Korn, Sensorrauschen, Unschärfe) spürbar/wahrnehmbar sein.

F.A.Z. heute: Juergen Teller

Auch ein kleiner Knisterer: Alfons Kaiser hat sich in einem Artikel des Modefotografs Juergen Teller angenommen, wobei nach Durchsicht des Artikels der Begriff "Modefotograf" nicht mit allen Vorurteilen gelesen werden darf. Was ihn zum Knisterer macht: die Bilder werden nicht nachträglich bearbeitet und Teller entwickelt die Bilder selbst (was auch immer damit gemeint ist).

F.A.Z. vom 23.12.2009 S.7 (Deutschland und die Welt)

Ästhetikkolumne Merkur Heft 1/2010

Wolfgang Ulrich beschreibt sehr schön die Produktion von Kunst bei der der Künstler nur noch als Notebook- und Blackberry-behaftetete Relaisstelle zwischen den Kuratoren und dem ausführenden Handwerker fungiert. Interessant ist die Bemerkung, daß "zeitgenössische Kunst auch deshalb kühl, aseptisch glatt (ist), weil jeweils nur die erste Idee eines Künstlers von Handwerkern umgesetzt wurde, die meist auch nur per Fax gebrieft wurden" (S.52).

Das bringt mich zu einer weiteren Forderung von Knistern und Rauschen:

Der Fotograf muss sämtliche Arbeitsschritte selbständig durchführen.

Das heißt ja nicht, dass er zum Visagisten werden oder ohne Assistenz arbeiten soll. Lediglich Materialschlachten a la Gurski oder Leibowitz, die nur mit einer Mannschaft von Helfern bewältigbar sind, sollen vermieden werden.

Steffo

Grundsätze

Zur Diskussion: Knistern und Rauschen beschäftigt sich inhaltlich hauptsächlich mit Porträtfotografie. Anbei ein paar Vorschläge zur Abgrenzung gegenüber der glatten Fotografie und der Beliebigkeit.

  1. die abgebildete Person muß als Mensch klar wahrnehmbar sein (und nicht als Mannequin oder sonstige Projektionsfläche)
  2. es ist eine humane Fotorgafie (die nicht nur Bilder von Menschen macht, sondern auch Menschenbilder liefert); darüber hinaus sollen nicht nur Bilder sondern Denkbilder entstehen (Schirmacher)
  3. es soll ein Kontrapunkt zu dem sein, womit kommerzielle Fotografie Geld verdient: Werbung und Produktfotos
  4. wir wollen in diskursfähig sein und den Dialog mit der glatten Fotografie suchen.
Steffo

Willkommen zu Knistern und Rauschen

Der erste Blogeintrag für die Fotografengruppe "Knistern und Rauschen". Den Titel hat sich Michael Picard ausgedacht und er hat ein paar sehr schöne Worte hierzu gefunden, um zu beschreiben, worum es gehen soll.

Dies ist ein Versammlungsort für all die Kreativen hier, die sich nicht fürchten vor Pixelkriegen, vor dem Geknarze ihrer Werke, davor, dass ihre Bilder eher knistern, denn säuseln.

Für die, denen die aufgedrückte modernistische Perfektion nicht nur unwichtig, sondern eher hinderlich bis widerlich erscheint.

Für die, die es wagen, das Rauschen, den Lärm in den Vordergrund zu rücken, weil die Glätte sie behindert auf ihrem Weg.

Für all die.

In bälde mehr

Steffo